Im Buch “Opus Omi…” war unter anderem auch von den Anfängen der NSU-Verwicklungen die Rede.
Ich gehöre zu denen, die immer wieder versuchen, den Prozess zu verfolgen.
Gerade in der letzten Zeit aber fühlt man sich als Beobachter einmal mehr wie ein Spielball in der Informationspolitik von Nebenklage und Bundesanwaltschaft.
Und wieder spielen hier Doppeldeutigkeiten und deren Deutung eine Rolle.
Die übergreifende Bedeutung von Doppelbotschaften für Fehldeutungen und Manipulation (ob mit oder ohne Absicht) und auch in Bezug auf juristische Bewertungen hatte ich im Buch ebenfalls skizziert (s. Kapitel zu Doppelbotschaften).
Schade nur, dass es wohl niemals ein Jurist für nötig befinden wird, sich damit ein wenig zu beschäftigen.
Aufhorchen ließ in jüngster Zeit – und das ist ja wohl mehr als verständlich -
ein Mitschnittzitat, das nahezulegen schien, dass der Verfassungsschützer in Hessen, der zur Tatzeit des Mordes an einem Internet-Cafe-Besitzer (oder kurz zuvor) Gast in eben diesem Cafe war, und sich nicht als Zeuge gemeldet hatte, vorher von einem möglichen Anschlag gewusst haben könnte.
Ein Vorgesetzter hatte in einem Telefonat mit dem Mitarbeiter später u.a. den Satz geäußert:
“Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.”
Was man so deuten könnte, dass überdies der Verfassungsschutz mindestens in Gestalt des Vorgesetzten von einem Anschlagsplan Kenntnis hatte, der Anschlag aber nicht verhindert wurde.
Dass der Mitarbeiter damit womöglich dem Versagen seines eigenen Dienstes aufgelaufen sein könnte und man ihn vielleicht auch deshalb bisher kaum gerügt, sondern eher gedeckt und in Schutz genommen hatte.
Aber während des Prozesses in München bekam die Öffentlichkeit nun durch die scharfe Ablehnung dieser Interpretation durch die Bundesanwaltschaft doch wieder zwei Versionen präsentiert. Und nicht nur das, die erste wurde von den Karlsruher Bundesanwälten regelrecht vom Tisch gefegt.
http://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-kampf-um-die-deutungshoheit-1.2370439
Demnach unterstellt die Karlsruher Bundesanwaltschaft der Nebenklage,
dass sie den Satz “Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.”
rein willkürlich und unpassend zulasten des Verfassungsschutzes im Sinne eines potentiellen Vorwissens ausgelegt habe.
“Vielmehr beziehe sich der Satz darauf, dass kein Verfassungsschutz-Mitarbeiter dem damals unter Verdacht stehenden Kollegen einen Besuch abgestattet habe.”
Meine spontane Einschätzung wäre: Das Wort “passiert” ist mit der Rede über Nicht-Besuche von Kollegen nicht in Einklang zu bringen. Auch, dass im Rest des Telefonats nicht von möglichem Vorwissen die Rede ist, ist kein Beleg dafür, dass dieser einzelne Satz nicht im Sinne eines Vorwissens gemeint gewesen sein könnte. Und vielleicht wurde er auch bewusst nicht ganz eindeutig formuliert und auch nicht mehr darüber gesagt, weil man durchaus ahnen konnte, evtl. abgehört zu werden.
Warum ist sich die Bundesanwaltschaft jetzt im Prozess aber so sicher im Abschmettern des aufgekommenen Verdachts?
Nur, weil es nicht sein darf, oder gibt es wirklich überzeugende andere Mitschnittdaten?
Wie bitte soll sich die Öffentlichkeit bei diesen beiden gravierend unterschiedlichen Interpretationen ohne Mitschnittkenntnis eine eigene Meinung bilden?
Sicher bin ich nicht die einzige, die dazu eine Möglichkeit haben möchte, denn der Verdacht, der durch diese Mitschnitt-Diskussion im Raum stand, ist wirklich ungeheuerlich und unerträglich. Und er würde jeden Bürger dieses Landes betreffen.
Und dann hätte die Bundesanwaltschaft die absolute Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen.
Muss man es hier wirklich akzeptieren, im Ungewissen zu dümpeln und von allen Seiten mit Halbwissen hingehalten und für dumm verkauft zu werden?
Es gab in diesem Fall schon genug Gründe, darüber bestürzt zu sein, dass das alles jahrelang passieren konnte, ohne dass die Täter gestört wurden.
Man bräuchte noch nicht einmal so eine eindeutige Verwicklung des Verfassungsschutzes, wie sie nun im Raum stand, um zu ahnen, dass zu vieles schiefging.
Dennoch: Diese Verwicklung steht jetzt im Raum, und der Öffentlichkeit ist man hier nun eine nachvollziehbare Erklärung schuldig. Ein Vom-Tisch-Wischen durch die Bundesanwaltschaft mit einer nicht weiter begründeten anderen Interpretation des Satzes
reicht nicht aus.
Nur wenn der Satz – so wie die Bundesanwaltschaft behauptet – im Zusammenhang tatsächlich e i n d e u t i g anders interpretierbar wird, als dem Verfassungsschutz zunächst unterstellt, muss man sich über die Methoden der Nebenklage sehr wundern.
Das muss dann aber auch für jeden nachvollziehbar gemacht werden.
Die Nebenklage würde durch eine eindeutige Fehlinterpretation des Zitats ja vor allem sich selbst bzw. dem Interesse der Opferfamilien schaden, die verzweifelt nach Hinweisen suchen, warum so vieles so lange unaufgeklärt blieb und bleibt.
Wenn das Abwiegeln der Bundesanwälte aber doch nicht eindeutig begründet ist,
wären sie verpflichtet, der Sache nachzugehen, Beteiligte zu vernehmen und den Verfassungsschutz zu durchleuchten, gerade weil es sich -
bei einer Bestätigung des Verdachts – wirklich um eine “Staatsaffaire” handeln würde.
Ich, die ich diesem Prozess wie viele andere weiter zu folgen versuche, fühle mich veralbert und desinformiert, von beiden Seiten.